Was ist Distressed M&A?

Im Zuge der Covid-19-Pandemie ist der Begriff Distressed M&A verstärkt in den Fokus gerückt. Mit der herrschenden Unsicherheit geraten vermehrt Unternehmen in Schieflage und das Potenzial für Distressed M&A-Deals steigt. Was sich konkret dahinter verbirgt sowie welche Chancen und Risiken solche Deals bergen, wird im Folgenden beleuchtet.

Definition: Was ist Distressed M&A?

Hinter dem Begriff Distressed M&A (Mergers & Acquisitions, zu Deutsch: Fusionen und Übernahmen) steckt der Kauf oder Verkauf von Unternehmen in der finanz– oder leistungswirtschaftlichen Krise. Solche Übernahmen von Distressed Assets (notleidenden Aktiva) können vorinsolvenzlich oder aus der Insolvenz heraus erfolgen. Dabei kann es sich um das gesamte Unternehmen, eine begrenzte Anzahl von Anteilen oder einzelne Vermögenswerte handeln. Verkauft wird an Investoren aus dem In- und Ausland oder an die liquiditätsstarke Konkurrenz.

Distressed M&AAbzugrenzen sind Distressed M&A-Transaktionen von normalen M&A-Deals. Charakteristisch für Distressed M&A ist die hohe Komplexität der Transaktionen. Zum einen unterliegen sie einem besonderen Zeitdruck. Das Unternehmen befindet sich bereits in einem Stadium der Krise (dabei werden fünf Krisenstadien unterschieden). Mit fortschreitendem Krisenstadium steigen auch Handlungs– und Zeitdruck. Vertieft sich die Krise, bleibt nur noch die Insolvenz – und damit kaum eine Chance für eine werterhaltende Lösung. Zwar sind Distressed M&A auch in Insolvenzfällen möglich. Die „Distressed M&A-Studie 2017″ für die Unternehmensberatung Roland Berger zeigt jedoch, dass beim Erwerb von Unternehmen vorinsolvenzliche Verfahren bevorzugt werden.

Zum anderen verkompliziert die Vielzahl an Beteiligten Unternehmensübernahmen in Krisensituationen. Dazu zählen je nach Situation etwa die Arbeitnehmer, der Betriebsrat, die Beiräte, Gesellschafter und Hauptfinanzgeber wie Banken und Lieferanten, aber gegebenenfalls auch die Kunden, Gläubiger, der Insolvenzverwalter und ein Interessentenfeld an Investoren.

Risiken von Distressed M&A

Distressed M&A-Transaktionen sind von einer hohen Komplexität gekennzeichnet. Folgende Aspekte spielen bei einem Deal in Krisenzeiten eine Rolle:

  • Erheblich komplexere Due Diligence

Die Due Diligence erfolgt bei regulären wie bei Distressed M&A fast ausschließlich im elektronischen Datenraum. Technisch und prozedural ergeben sich somit keine Unterschiede zu normalen M&A-Deals. Jedoch ist die Risikoallokation bei kriselnden oder von Insolvenz betroffenen Unternehmen weitaus bedeutender als bei regulären Transaktionen. Im Rahmen der Due Diligence müssen daher zahlreiche Faktoren berücksichtigt werden.

Distressed M&A

Wann lohnt sich eine Restrukturierung?

Dazu zählen neben der vergangenen Geschäftsentwicklung auch die Analyse, welche Faktoren zur Krise geführt haben, welche Parameter das vorliegende Geschäftsmodell aufweist und welche Chancen und Risiken damit einhergehen.

Dazu kommen die Analyse der Qualität der Unternehmenssteuerung und der Controlling-Instrumente. Auch eine Analyse der Liquiditätsentwicklung (um den maximalen Finanzierungsbedarf für Betriebsmittel und Investitionen zu ermitteln, der zuzüglich zum Akquisitionsfinanzierungsbedarf anfällt) sowie die Analyse der aktuellen Liquiditätssituation (Cashburnrate, Beziehungen zu Kunden, zu Lieferanten sowie deren Lieferbedingungen und Geldgebern) ist relevant. Auf Basis der so gewonnenen Erkenntnisse kann ein neuer Businessplan erarbeitet werden, der Ineffizienzen aufzeigt, Restrukturierungsmaßnahmen und die damit verbunden Kosten einbindet sowie Potenziale und Synergien benennt.

  • Anspruchsvolle Ermittlung des Kaufpreises

Bei einem Unternehmen mit Ertrags- und Liquiditätsdefiziten lässt sich der Wert nicht einfach ermessen. Wichtig bei der Ermittlung des Enterprise Value ist es daher immer, die Entwicklungschancen des Zielunternehmens in die Bewertung mit aufzunehmen.

  • Komplexe Finanzierung

Die Finanzierung bei Distressed M&A-Deals muss schnell und flexibel erfolgen. Zudem ist die Akquisition mit einem höheren Risiko verbunden, was die Beschaffung des Kapitals erschwert. Ferner ist mit höheren Finanzierungskosten zu rechnen. Lesen Sie hier alles über Finanzierungskosten.

  • Anspruchsvolle Rechtsgrundlagen

Je nach Land können bestimmte auf arbeits-, gesellschafts-, und insolvenzrechtlich Regelungen die Transaktion erschweren. In Deutschland müssen Käufer etwa die Insolvenzanfechtung (§§129 ffInsO), das Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters (§ 103 InsO), die Befugnis zur Verfügung über das Vermögen der Zielgesellschaft (§ 80 InsO) sowie aussonderungs– und absonderungsberechtigte Gläubiger mitbedenken.

Welche Chancen bieten sich?

Für Käufer oder Investoren (Buy Side) sind in die Krise geratene Unternehmen eine attraktive Option, obwohl die Krisen-Akquisition nicht risikolos ist. Doch auch auf der Verkaufsseite (Sell Side) bieten sich trotz des akuten Handlungsbedarfs in Krisensituationen durch Distressed M&A-Deals Chancen .

Kaufseitige Chancen bei Distressed M&A-Transaktionen (Buy Side)

  • Käufer profitieren in Krisensituationen von günstigen Preisen (etwa weil der Börsenkurs/Marktwert sinkt oder das Zielunternehmen nicht mehr liquide ist).
  • Käufer können sich schnellen Zugang zum (deutschen oder einem internationalen) Markt verschaffen, ohne ein Unternehmen vor Ort von Grund auf aufzubauen.
  • Internationale Käufer können das Geschäftsmodell des Zielunternehmens auf ihr eigenes Herkunftsland übertragen.
  • Käufer können durch strategische Akquisition den erstmaligen Markteinstieg in ein bestimmtes Segment vorantreiben.
  • Käufer können anorganisches Wachstum im eigenen Marktumfeld schaffen.
  • Käufer können liquiditätsdefizite Wettbewerber ausschalten.
Distressed M&A

Der Krise trotzen?

Hinweis: In der aktuellen Covid-19-Pandemie sind private (Groß-)Investoren, Unternehmen unterschiedlicher Größe aber auch Staaten beziehungsweise Staatsfonds mögliche Käufer.

  • Verkaufsseitige Chancen bei Distressed M&A-Deals (Sell Side)
  • Verkäufer können die Arbeitsplätze ihrer Arbeitnehmer retten.
  • Verkäufer können wichtige Vertragspartner vor dem Ausfall ihrer Forderungen bewahren.
  • Verkäufer können (gegebenenfalls) die Insolvenz vermeiden.
  • Verkäufer können den Firmennamen bewahren und eine Pleite und Auflösung abwenden.
  • Verkäufer können einen Imageverlust umgehen (aufgrund von Insolvenz oder Auflösung typisch).
  • Verkäufer können durch Veräußerung von Anteilen/Vermögenswerten Liquidität für eine strategische Neuausrichtung oder die Umsetzung von Restrukturierungsmaßnahmen schaffen.

Schlusswort

Aufgrund der Komplexität von Distressed M&A-Transaktionen ist immer ein individualisierter Ansatz notwendig. Pauschale Anwendungen von Standardlösungen eignen sich nicht. Dennoch bietet der Kauf oder Verkauf in Krisenzeiten neben Risiken auch Chancen.
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