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Was versteht man unter der Stagflation?

Der Begriff „Stagflation“ ist ein Kofferwort, der sich aus den Wirtschaftsbegriffen „Stagnation“ und „Inflation“ zusammensetzt. Die Wortschöpfung geht auf den konservativen britischen Politiker Iain Macleod zurück. Mit Stagflation beschrieb Macloed Ende der 1960er-Jahre den Zustand eines Währungsraumes, in welchem volkswirtschaftliche Stagnation und Inflation herrschen.

Ursachen und Auswirkungen einer Stagflation

Der Auslöser einer Stagflation ist in der Regel ein sogenannter Angebotsschock. Dabei handelt es sich um ein exogenes Ereignis, das plötzlich eintritt und die Markteilnehmer überrascht. Auslösende Schocks können.

  • politischer (Kriege, Staatskrisen)
  • psychologischer (große Unsicherheiten oder Ungewissheiten)
  • wirtschaftlicher (Finanzkrisen, Spekulationsblasen) oder
  • sonstiger Natur (Terrorismus, Naturkatastrophen, Pandemien)

sein. Der Angebotsschock hat zur Folge, dass die Preise steigen. Dies lässt die Nachfrage sinken. Darauf reagieren die Unternehmen mit einer verringerten Produktion und/oder dem Entlassen von Mitarbeitern. Es entsteht der Zustand einer Stagflation, indem das Wirtschaftswachstum sinkt bzw. stagniert, während Inflation und Arbeitslosigkeit gleichzeitig steigen.

Stagflationen in den letzten 50 Jahren

Stagflation in den 1970er-Jahren

Der Zustand einer echten Stagflation trat in Deutschland und vielen anderen Industriestaaten zum ersten Mal in den 1970er-Jahren auf, also in einer Zeit, aus welcher die Wortschöpfung stammt. Der Auslöser war die

Stagflation

Die Stagflation ist industriellen Ursprungs.

Verknappung der Ölförderung in den OPEC-Staaten. Diese führte dazu, dass sich der Ölpreis zwischen 1973 und 1975 verdoppelt hat. Die Folge des extremen Preisanstieges war ein Angebotsschock (Ölpreisschock) aufseiten jener Unternehmen, die Dienstleistungen anbieten oder Güter produzieren, da die Energiepreise deutlich anstiegen.

Höhere Energiepreise bedeuten aus unternehmerischer Sicht höhere Produktionskosten. Diese gaben die Unternehmen an die Verbraucher weiter, was wiederum die Inflation in die Höhe trieb. So stiegt in den westlichen Industriestaaten die Inflationsrate in den Jahren 1972 bis 1974 von sechs auf 13 Prozent. Der Anstieg der Preise löste verschiedene Entwicklungen aus.

Zum einen verringerte sich die Nachfrage. Darauf reagierten die Unternehmen mit dem Zurückfahren der Produktion. Außerdem entließen sie Mitarbeiter, um die Kosten weiter senken zu können. So stieg in den USA die Arbeitslosenquote von 4,9 Prozent im Jahr 1973 auf 8,4 Prozent in 1975 an. Zum anderen setzten die Gewerkschaften höhere Löhne durch, was die Preise weiter ansteigen ließ. Letztendlich brachte dies eine Lohn-Preis-Spirale in Gang, die mit steigender Arbeitslosigkeit und sinkendem Wirtschaftswachstum einherging.

Anstieg des Ölpreises in den 2000er Jahren

In den 2000er Jahren stieg der Ölpreis erneut stark an. Der Höhepunkt des Preisanstiegs war 2006 bis 2008. Allerdings löste der Preisanstieg damals keine Stagflation aus. Die Gründe für das Ausbleiben sind bislang volkswirtschaftlich noch ungeklärt. Ein Erklärungsversuch ist die gestiegene Energieeffizienz, da sich der Ölverbrauch in vielen Staaten halbiert hat. Es kann aber auch sein, dass das Ausbleiben einer Stagflation einfach nur Glück war, so die Meinung vieler Ökonomen.

Corona als Auslöser einer Stagflation?

Ob Corona eine Stagflation auslöst oder bereits ausgelöst hat, schätzen Experten unterschiedlich ein. Dies gilt auch für die entwickelten Szenarien.

Szenario 1: Inflation und Lohnerhöhungen

Dieses Szenario zielt auf vor allem auf die Arbeitnehmer ab. Sehen diese bzw. die Gewerkschaften als ihre

Stagflation

Wie wirken sich Lohnerhöhungen aus?

Vertreter von deutlichen Lohnerhöhungen ab, kommt es zu keiner bzw. keiner drastischen Erhöhung der Arbeitskosten auf Seite der Unternehmen. Dies jetzt jedoch voraus, dass die Bevölkerung den derzeitigen Inflationsschub als vorübergehend ansieht und von der Erwartung ausgeht, dass die Inflationsrate bald wieder sinken wird.

Szenario 2: Rückgang der Produktionsdaten

Dieses Szenario beschreibt die umgekehrte Situation zu den 1970er-Jahren. Die Nachfrage ist vorhanden, aber die Unternehmen können nicht liefern, da die globalen Lieferketten, als Beispiel seien Speicherchips und Bauholz genannt, aufgrund von Corona nicht intakt sind. Zu dem Problem der Lieferketten gesellen sich, selbst wenn diese wieder richtig funktionieren, außerdem zwei Faktoren, die sich negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken und eine Stagflation begünstigen.

Investitionen in klimafreundliche Verfahren

Die Investitionen in klimafreundliche Verfahren sind derzeit schwach, da viele Unternehmen bislang nicht einschätzen können, wie der Umbau zu einer klimaneutralen Produktion generell vonstattengehen soll. Gleichzeitig verzichten sie auf Investitionen in die Verbrenner-Technologie. Dies führt zu einem Rückgang der Produktionskapazitäten, da beim Bau von klimaneutralen Anlagen und der Modernisierung von älteren Einheiten Zurückhaltung herrscht.

Demografie als Treiber der Inflation

Da die Generation der sogenannten Babyboomer in den nächsten Jahren in Rente geht, wächst die Arbeitskräfte-

Stagflation

Wer treibt die Inflation?

Knappheit. Die Folge ist ein steigender Lohndruck, der das Ansteigen der Inflationsrate begünstigt. Zudem stagniert das Wirtschaftswachstum weiter, da die Unternehmen wegen des Mangels an Fachkräften bei Investitionen äußerst zurückhaltend sind.

Szenario 3: Fortsetzung von mittel- bis langfristigen Angebotsschocks

Der Ökonom Nouriel Roubini, Professor an der Stern School of Business (New York University), identifiziert neun Angebotsschocks, die sich mittel- bis langfristig fortsetzen:

  • Trend zur Entglobalisierung bei zunehmendem Protektionismus
  • Verkürzung von Lieferketten
  • ungünstige Demografie (hoch entwickelte Länder, wichtige Schwellenmärkte)
  • Behinderung der Migration aus dem armen Süden in den reicheren Norden durch hohe Einwanderungshürden
  • Fragmentation der Weltwirtschaft durch den Kalten Krieg zwischen den USA und China
  • Verwerfungen in der Landwirtschaft durch den Klimawandel mit Preisspitzen bei Lebensmitteln als Folge
  • mehr nationale Eigenständigkeit und Exportkontrollen für wichtige Werkstoffe und Waren aufgrund von globalen Pandemien
  • zunehmende Destabilisierung der Produktion aufgrund von Cyberkriegsführung
  • beschleunigtes Lohnwachstum aufgrund einer arbeitnehmer– und gewerkschaftsfreundlichen Politik